Unter dem hist. Fachterminus L. versteht man das durch Lehnsrecht geregelte personale Verhältnis zwischen Lehnsherrn und adligen Vasallen mit seinen Auswirkungen auf die polit., militär. und wirtschaftl. Strukturen des europ. MA (Feudalgesellschaft). Der oft synonym verwendete Begriff Feudalismus wird in der wissenschaftl. Terminologie als universalhist. Kategorie aufgefasst und ist vom L. klar zu unterscheiden. Die ma. Wortbedeutung von lêhen (lat. beneficium) umfasst nicht nur das vasallit. Lehen, sondern auch das grundherrliche und das durch städt. Besitz begründete Abhängigkeitsverhältnis. In der wissenschaftl. Diskussion wird dagegen zwischen dem vasallit. Lehnsverhältnis (Lehen) und dem bürgerl. bzw. bäuerl. Leiheverhältnis (Leihe) unterschieden. Der lat. Quellenbegriff feudum leitet sich vom germ. Ausdruck fihu, d.h. Vieh, ab. Erst in der karoling. Periode schränkte sich der Begriff auf den lehnsweisen Grundbesitz ein.
Der Belehnungsakt, ein formeller Rechtsakt, umfasste die Mannschaftsleistung (lat. homagium), d.h. die vom Vasallen zeremoniell bekundete Verpflichtung zu Dienst und Gehorsam, den Lehnseid (Eid) und im französisch-savoyischen Gebiet zudem den Lehnskuss des Vasallen, schliesslich die Investitur bzw. Übergabe des Lehnsobjekts. Nach einem Heimfall des Lehens beim Tode des Herrn (in der rechtshist. Literatur als Herrenfall bezeichnet) oder des Vasallen (Mannfall) fand eine Lehnserneuerung für die Erbberechtigten statt. Die Lehnspflichten umfassten Ehrendienste und Rat am Hof, Kriegsdienst und Burghut (Burglehen) von Seiten des Lehnsmannes sowie die Garantie des Lehnsbesitzes und des Beistands von Seiten des Herrn. Der Bruch der Lehnstreue (Felonie) zog den Lehnsentzug nach sich. Lehnsfähig waren im frühen MA nur Hochadlige (Adel), ab dem HochMA wurden Lehen auch an Ministeriale und Bürger vergeben. Die Heerschildordnung, ein Begriff der ma. Lehnrechstheorie (Sachsenspiegel, Schwabenspiegel), regelte die standesgemässe Lehnsverbindung (sog. siebenstufige Lehnspyramide). Im SpätMA kam es zu einer Kommerzialisierung des L.s (Geldrenten, Rentenlehen).
Das fränk. L., das bereits im 6. und 7. Jh. aus einem persönl. und einem dingl. Element bestand, entwickelte sich aus zwei unterschiedl. Wurzeln. Eine Wurzel ist die königl. Schutzherrschaft über Personen freien Standes, die sich dem Dienst des Königs unterworfen hatten; Hinweis auf die ursprüngl. Unfreiheit der Lehnsmänner sind die lat. Quellenbegriffe vassus und vassallus, die vom galloröm. Ausdruck gwas (Knecht) abgeleitet sind, ferner die Zeremonie des sog. Handgangs (homagium), des Einlegens in die Hände des Herrn, sowie die Hervorhebung der Gehorsamspflicht. Die zweite Wurzel ist das germ. Gefolgschaftswesen, das die gegenseitige Treue von Vasall und Herrn betont. Dieser Einfluss wertete im 8. Jh. die Vasallität sozial auf.
Neben der persönl. Rechtsbeziehung spielte schon früh das Benefizium, das Lehnsobjekt, eine wichtige Rolle. Das Benefizium geht zurück auf die merowing. Landschenkungen aus dem Hausgut, die Vasallen für die Leistung von Kriegsdiensten zur Nutzung übertragen wurden. Durch die Heeresreform Karls des Grossen wuchs die militär. Bedeutung der Vasallen: Die allg. Dienstpflicht aller Freien wurde ersetzt durch die Dienstpflicht der Vasallen; der Reiterkrieger wurde zum Krieger schlechthin (Rittertum). Die Vasallität, ein heterogenes Sozialgebilde, umfasste sowohl die Kronvasallen als auch die Vasallen der geistl. und weltl. Herren. In die gleiche Zeit fällt auch die Feudalisierung des Ämterwesens: Inhaber königl. Ämter (z.B. Markgrafen, Grafen) wurden dabei durch vasallit. Bindung der Krone verpflichtet, und die Ämter wurden neben dem damit verliehenen Lehnsgut mehr und mehr selbst als Lehen betrachtet. Schon zu diesem Zeitpunkt bahnte sich durch das Eindringen allodialrechtl. Vorstellungen (Allod) die Erbfolge im Lehen (Erbrecht) und durch die Gewohnheit der Mehrfachvasallität eine zunehmende Verselbstständigung der Lehnsobjekte an. Durch die Vererbbarkeit verlor die Lehnsbindung ihren ursprünglich personalen Charakter. Das Lehen wurde Grundlage für ein Dienstverhältnis, das eingegangen wurde, eben weil der Lehnsmann ein Lehen empfangen hatte. Mit dem L. wurde auch der kirchl. Bereich für den Staatsaufbau nutzbar gemacht, indem Bischöfe und Äbte in lehnsrechtl. Form eingesetzt wurden.
Autorin/Autor: Franziska Hälg-Steffen
Nach dem Auseinanderbrechen des fränk. Reiches entwickelte sich das L. in den Nachfolgereichen unterschiedlich. Eine bewusste Lehnspolitik setzte im dt. Reich in der 1. Hälfte des 12. Jh. wieder ein. Das Lehnsrecht wurde zur Grundlage bei der Vergabe von Ämtern und in Bezug auf die Reichskirche; dem Wormser Konkordat von 1122 gemäss wurden geistl. Reichsfürsten königl. Lehnsträger. Der Investiturstreit beseitigte das otton. Reichskirchensystem, der König verlieh nur noch die weltl. Herrschaftsrechte an geistl. Würdenträger. Dadurch wurden die geistl. Reichsfürsten in das lehnsrechtl. System eingebunden. Da in Schwaben vom 11. Jh. an eine starke herzogl. Gewalt fehlte, kam es zu einer zunehmenden Feudalisierung der Gesellschaft. Bis um 1200 bildete sich der jüngere weltl. Reichsfürstenstand, die Herzogtümer wurden zu rein territorial definierten Lehnsfürstentümern, die ihre Lehen unmittelbar vom König erhielten. Anders als den Königen von Frankreich und England gelang es den Staufern jedoch nicht, einen voll ausgebildeten Lehnsstaat zu errichten. Verstärkt durch den stauf.-welf. Thronstreit kam es zum Niedergang der Königsmacht.
Dies schuf im SpätMA eine der Voraussetzungen für den Aufbau von Territorialherrschaften: Das L. spaltete sich in das Reichslehnswesen und das L. in den sich bildenden fürstl. Territorien auf. Die Verpflichtung der Vasallen auf das Territorium ist Ausdruck einer Lehnspolitik, welche die innere Festigung der Landesherrschaft sowie die Vergrösserung und Abrundung des Territoriums mit dem Mittel der lehnsrechtl. Bindung zu erreichen suchte. Ein wichtiges Instrument war dabei die Lehnsauftragung (feudum oblatum), durch die aus polit. oder wirtschaftl. Gründen bisheriger Allodialbesitz durch Übergabe an Mächtigere in Lehen umgewandelt wurde. Die Unterwerfung unter die sich bildende Landesherrschaft wurde durch die neu geschaffenen Lehnsbindungen unterstützt. Im Übergang zum SpätMA setzte sich die Tendenz zur Territorialisierung des L.s durch. Die persönl. Bindung zwischen Herrn und Lehnsträger rückte in den Hintergrund, dagegen entstand eine engere Beziehung zwischen dem Territorium und den darin begüterten Vasallen. Die Inhaber der landesherrl. Oberhoheit versuchten, die lehnsrechtl. Ansprüche anderer Herren innerhalb ihres Territoriums auszuschalten. Der Charakter des L.s hatte sich so bis um 1300 verändert; in der Verwaltungs- und Gerichtsorganisation kam es zu neuen, amtsrechtl. Formen, die militär. Bedeutsamkeit hatte abgenommen. Seine herrschaftsfunktionale Bedeutung hatte das L. aber noch nicht völlig verloren, wie in der älteren Forschung behauptet wird. Die in Lehnsurkunden oft erwähnten Vorkaufsklauseln, das Festlegen des Rückkaufrechts durch den Lehnsherrn, die fortgesetzte Wiederverleihung nach Heimfall und Ausgabe in Form von Rentenlehen zeigen deutlich, dass die Lehnsherren auch im 14. und 15. Jh. von der Lehnsbindung noch etwas erwarteten. Hinderlich wurde das L. erst im 17. Jh. bei der Schaffung eines einheitl. Untertanenverbandes (Absolutismus).
Autorin/Autor: Franziska Hälg-Steffen
In der Schweiz war das L. weit weniger wirkungsmächtig als in Deutschland oder Frankreich. Das angeblich enge Gefolgschaftsverhältnis vieler Edelfreier zu den Gf. von Kyburg, von dem in der älteren Geschichtsschreibung die Rede ist, wird in der neueren Forschung bestritten; über solche Lehnsbindungen ist praktisch nichts bekannt. Die Bedeutung des L.s beim Aufbau der habsburg.-österr. Landesherrschaft in den Vorlanden wird in der Forschung unterschiedlich gewichtet. Im 13. Jh. vergrösserten die Habsburger ihre Vasallität v.a. in der Nordwestschweiz beträchtlich. Zu Beginn des 14. Jh. waren sie kaum in der Lage, ihre lehnsherrl. Rechte gesamthaft zu überblicken und zu behaupten; Indiz dafür sind Revokationsrödel wie das Habsburgische Urbar. Bei der heute gegebenen, bezüglich der einzelnen Gebiete sehr ungleichmässigen Forschungslage lässt sich aber vermuten, dass eine territorialpolit. Einbindung gewisser Regionen mittels Intensivierung der lehnsrechtl. Beziehungen zur österr. Landesherrschaft zumindest versucht wurde, z.B. im Raum Rothenburg-Wolhusen. Diese Ansätze wurden jedoch nicht weiter verfolgt. Die Aufzeichnung der Lehen am Lehnshof Hzg. Rudolfs IV. 1361 zeigt bereits deutlich eine ungünstige Entwicklung des L.s in Vorderösterreich. Die Lehnsträger setzten sich grösstenteils aus Bürgern und wohlhabenderen Bauern zusammen. Adlige waren in der Minderheit, und Lehnsobjekte waren offenbar stark zerstückelt. Die vorderösterr. Lehen wurden infolge der Herrschaftsferne nicht genügend kontinuierlich und konsequent verwaltet, um für den Aufbau der Landesherrschaft wirksam eingesetzt werden zu können. Das Lehen wurde zu einem Element der Gefolgschaftsbildung auf einer unteren sozialen Stufe, zu einem Kapitalgeschäft für die Lehnsträger, die mehr an den Einkünften interessiert waren als an ihren Rechten und Pflichten gegenüber der österr. Herrschaft.
In der Westschweiz fand das L. eine stärkere Ausprägung als in den deutschsprachigen Gebieten. Nach dem Aussterben der Hzg. von Zähringen kam es zwar zunächst zu einer Allodisierung. Der lokale Adel vermochte aber seine Reichsunmittelbarkeit nicht lange zu behaupten. Nach 1240 gerieten die waadtländ. Herren wie bereits die Bf. von Lausanne und Genf durch Lehnsauftragung teilweise in savoyische Lehnsabhängigkeit (seigneuries). Peter II. versuchte im 13. Jh., die Lehnsbeziehungen durch ein durchorganisiertes Verwaltungssystem (châtellenies) zu ersetzen und dadurch die einzelnen Herrschaften in die savoyische Landesherrschaft zu integrieren. Dies gelang ihm nur punktuell. Lehnsabhängig waren u.a. die Gf. bzw. Herren von Greyerz, Cossonay, Bioley, Stäffis, Grandson und Montagny. Anfang des 15. Jh. erstellte Jean Balay, savoyischer Lehnskommissar für die Waadt, ein Verzeichnis der Lehnsgüter, welche die Gf. von Savoyen ihren Vasallen übertragen hatten ("La Grosse de la Rénovation des fiefs nobles du Pays du Vaud"). Während also in der alemann. Schweiz die Erblichkeit von Lehen im 14. Jh. bereits weit fortgeschritten war, kannte das Gebiet unter savoyischer Herrschaft ein funktionierendes L. mit Lehnsgerichtshof und der Möglichkeit zum Lehnsentzug. Charakteristisch für das L. im savoyischen Fürstenstaat sind das ligische Lehnsverhältnis (homagium ligium), das den Vasallen enger an den Herrn band als das einfache L. (homagium planum), und, damit zusammenhängend, das Ritual des Lehnskusses. Die Grafschaft Neuenburg schliesslich war ab 1288 von den burgundischen Gf. von Châlon lehnsabhängig.
Autorin/Autor: Franziska Hälg-Steffen
Autorin/Autor: Franziska Hälg-Steffen