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05/03/2015

Feudallasten

Als F. werden all jene Abgaben, Gebühren, Steuern und Dienstleistungen aus der Zeit vor der Franz. Revolution bezeichnet, die in einem persönl. Abhängigkeits- und Herrschaftsverhältnis von Untergebenen (Untertanen, Lehenbauern, Eigenleuten) einem Herrn zu erbringen waren. Ausgehend vom ursprüngl. Begriff "feudal" (Feudalismus), wären unter F. aus dem Lehnsrecht abgeleitete Lasten zu erwarten. Die Franz. Revolution subsumierte unter dem Wort "feudal" jedoch alles, was mit vorrevolutionärer Herrschaft verknüpft war. In der Helvetik kam der dt. Begriff F. als Übersetzung vom franz. redevances féodales auf. Er wurde gebraucht als Sammelbegriff für alle vorrevolutionären Lasten - neben lehnsherrlichen auch solche aus der Gerichts-, Leib-, Personen-, Kirchen- und Grundherrschaft, somit für Abgaben und Leistungen von allen bis dahin gültigen Herrschaftsrechten.

Der vom revolutionären Gedankengut geprägte Begriff schloss den Aspekt der Widerrechtlichkeit mit ein. In der marxist.-leninist. Terminologie kam die Dimension der Ausbeutung hinzu: F. dienten der Ausbeutung der Bauern. Diese polit.-ideolog. Interpretation der F. blieb im 20. Jh. nicht ohne Auswirkung auf das allg. Verständnis der ma.-frühneuzeitl. Zustände (so schreibt der "Brockhaus" 1908: "die den Bauernstand bedrückenden F.").

Autorin/Autor: Anne-Marie Dubler

1 - Entstehung und Entwicklung

Die ursprüngl. Bedeutung der F. entspricht nicht derjenigen, die ihnen in späteren Interpretationen gegeben wurde. Vom frühen MA an allmählich entstanden, hatten diese Abgaben, Gebühren, Steuern und Dienstleistungen die Funktion einer Gegenleistung von Untergebenen (Freien oder Eigenleuten) für eine Leistung des Höhergestellten, Mächtigen, Besitzenden - eines weltl. oder kirchl. Herrn. Die Leistung konnte eine Sache sein, z.B. ein Hof, den der Grundbesitzer einem Bauern zur Nutzung verlieh, der ihm dafür Zins zahlte, oder auch eine Institution des öffentl. Rechts wie das Gerichtswesen oder der Personenschutz, den der Waffen tragende Adelige seinen Herrschaftsangehörigen gegen Erlegung des Vogtzinses oder dem durchreisenden Kaufmann gegen Zahlung des Geleites gewährte. Die Gegenseitigkeit von Leistung und Gegenleistung zwischen einem Herrn und seinen freien oder leibeigenen Herrschaftsangehörigen kennzeichnete die damalige Ständische Gesellschaft. Die grosse Vielfalt an F., unter denen die älteren Naturallasten und Frondienste bedeutender waren als die jüngeren Geldabgaben, spiegelt die Zeit ihrer Entstehung mehrheitlich im Zeitraum vor dem und im 14. Jh. Wirtschaftlich betrachtet waren die agrarischen F. das materielle Rückgrat und wichtigstes Einkommen der ma. Adels-, Kirchen- und Klosterherrschaft.

Die meisten Abgaben stammten aus der Gerichts- und Grundherrschaft: Mannleistungen (Frondienste) und Naturalzinsen aus dem genutzten Boden spiegeln eine archaische Arbeitswelt; jünger und der Geldwirtschaft entwachsen waren Geldleistungen, darunter in Geld gewandelte ehemalige Naturalzinsen. Neben Grundzinsen, die der Leihe entsprangen, weisen Frondienste auf die einst übliche Mitarbeit der Bauern in der Eigenwirtschaft des Grundherrn. Dieser konnte, weil ihm ursprünglich das gesamte Eigentum am Boden zukam, Gebühren für Wald- und Weidenutzung (Acherum) und für verliehene Gewerbebetriebe (Ehaften) fordern. Aus dem Gerichtswesen bezog der Inhaber der entsprechenden Rechte für seine richterl. Tätigkeit Gefälle (Bussen) und Gebühren und hatte Anrecht auf Frondienste zum Unterhalt seiner Gebäude. Auch aus der Gewährleistung der öffentl. Ordnung und Sicherheit - z.B. durch Verfolgung von Kriminellen oder die Aufsicht über Land- und Wasserwege - bezog der Gerichtsherr Einkommen, z.B. das konfiszierte Vermögen von Straftätern oder Zoll und Geleite aus dem Verkehr.

Die aus dem Bereich der ma. Personenherrschaft stammenden F. - Abgaben von Vogtei-Angehörigen, gleich ob im Rahmen weltl. Vogteien, geistl. Kastvogtei oder der Reichsvogtei - waren ein Entgelt für den von der Herrschaft zu leistenden Personenschutz. Aus der Leibherrschaft bzw. der Leibeigenschaft wuchsen die später heftig bekämpften F. wie der Fall, die Kopfsteuer, das Abzugsrecht und die Ehesteuer bei Heiraten ausserhalb der Ehegenossame. Diese F. stellten aber im Vergleich zum ursprünglich vollen Anspruch des Leibherrn an Leib und Besitz seiner Eigenleute verminderte Ansprüche dar. Der Zehnt an den Kirchenherrn, ein Entgelt für die kirchliche und später vermehrt auch die soziale und schul. Betreuung der Bevölkerung, war eine der einträglichsten Steuern der Zeit vor 1800. Obschon von der Definition her nicht zu den F. zählend, standen die Zehnten im Zentrum des bäuerl. Widerstands und des Kampfes um deren Ablösung.

 Tabelle: 
Feudallasten (Auswahl)


Dass die F. als ursprünglich gerechtfertigtes Entgelt für Leistungen der Herrschaft am Ende des 18. Jh. als "widerrechtlich" bekämpft wurden, lag v.a. daran, dass ihr Sinn im Lauf der Jahrhunderte verloren gegangen war. Die F. waren mehrheitlich nicht ablösbar ("ewig") und bei Erblehen nicht steigerbar, das hiess, dass z.B. Hofzinsen über Jahrhunderte nominal unverändert erhalten blieben. Kapitalisiert entsprach ihr effektiver Wert aber keinesfalls mehr dem ursprünglich vollen Eigentum des Grundherrn, sondern lag vom 17. Jh. an meist deutlich unter 50% des Verkehrswertes - der Lehnbauer war zum Hofeigentümer aufgerückt, der Grundherr zum Rentenbezüger abgestiegen. Die Vielfalt der F. stellte Herrschaften vor Verwaltungsprobleme. Sie suchten diese durch Umwandlung von Naturalabgaben in leichter zu beziehende Geldzinsen zu lösen, was sie aber der Geldentwertung auslieferte. Angesichts der hohen Mobilität der spätma. Bevölkerung wurden die an Personen haftenden Abgaben und Steuern, z.B. jene aus der Leibeigenschaft, in Grundlasten umgewandelt und auf das bäuerl. Leihegut radiziert.

Auch die soziale Herkunft der Bezüger der F. änderte sich. Im SpätMA lagen Herrschaften und Boden und die damit verbundenen F. in der Hand des Adels und der von ihm gestifteten oder mit Gütern ausgestatteten Kirchen und Klöster. Ab dem 14. Jh. verschob sich das Eigentum bei steigendem Geldbedarf des Adels einerseits und erstarkender Finanzkraft der Stadtbürger anderseits sukzessive zu Gunsten der Städte und Bürger. In derselben Zeit erwarben vermehrt Bürger und Städte Kirchensätze (Patronatsrecht) und damit Zehnten, noch bevor in der Reformation zum neuen Glauben übergetretene Landesherren die Kirchenherrschaft an sich zogen (Säkularisation). Herrschaften, ob Eigentum oder Lehen, sowie private und öffentl. Institutionen waren bereits frei handelbar; nun wurden es auch Grundlasten, die wie Renten, z.T. losgelöst vom Boden, belastet, verpfändet, geteilt, vererbt und verkauft werden konnten. Im Prozess der Umwandlung und Handänderung der F. ging aber die Kenntnis von ihrer ursprüngl. Funktion verloren.

Am Ende des 18. Jh. waren die noch existierenden F. angesichts des allg. Bedeutungsschwundes und der Geldentwertung der im SpätMA fixierten Geld- und Bodenzinsen zwar ärgerliche, wie v.a. die Frondienste, aber keine drückenden Lasten mehr. Weit stärker belastete die allgemein hohe hypothekar. Belastung, welche Hoferben u.a. beim Auskauf von Geschwistern eingehen mussten, den Bauernstand. Lediglich die Zehnten blieben eine namhafte Naturalsteuer von 10% vom Bodenertrag, die als einzige regelmässige Steuer des Ancien Régime somit fast ausschliesslich auf der Landbevölkerung lastete.

Autorin/Autor: Anne-Marie Dubler

2 - Ablösung der Feudallasten

2.1 - Frühe Ablösungen

Schon im SpätMA gab es Bestrebungen, F. gegen Geldzahlungen abzulösen, besonders früh im Voralpenraum: So wandelten die Glarner 1395 in Vereinbarung mit dem Stift Säckingen diesem geschuldete Fälle, Zehnten und Bodenzinsen in Geldzinsen um. Ab den 1440er Jahren verweigerten Bauern im Getreide produzierenden Mittelland Zehnten, Frondienste, Ungeld und Ehrschatz mit dem Ziel, sich ganz oder z.T. von diesen zu befreien. Geistl. und weltl. Grundherren erhielten von den Landesherren Rückendeckung, so dass sich die Ablösungen in Grenzen hielten. Ähnl. Forderungen wurden in den Bauernunruhen von 1525 erneut gestellt, doch drängten die Bauern nun in Erwartung reformator. Änderungen auf Abschaffung, nicht auf Ablösung der F. Im Vordergrund stand die Abschaffung der Leibeigenschaft und ihrer Lasten sowie der Zehnten und Frondienste. Grundherren und Obrigkeiten lehnten die Forderungen, gestützt auf verbriefte Rechte, zwar mehrheitlich ab, doch war gleichwohl einiges in Bewegung geraten. Basel und Bern erliessen in den säkularisierten geistl. Herrschaften den Kleinzehnten, und Bern erlaubte 1532 die Umwandlung des Heu- und Jungezehnten in Geld. Landgemeinden, die mit ihrem Dorfpfarrer übereinkamen, ihm gegen Erlass des Jungezehnten die Zuchttierhaltung abzunehmen, blieben Einzelfälle. Im Bauernkrieg von 1653 war die generelle Forderung nach Abschaffung der F. kein Thema mehr. Forderungen bäuerl. und nichtbäuerl. Kreise des 17. und 18. Jh. verlagerten sich, teilweise im Zuge ländl. Unruhen, recht erfolgreich auf die Ablösung oder Verminderung von Fall und Ehrschatz. Während es Zürich bezüglich des Falls 1768 bei einer Absichtserklärung beliess, gestatteten Bern 1792 im Oberaargau und der Fürstabt von St. Gallen 1795-96 im Klosterstaat den allg. Loskauf.

Autorin/Autor: Anne-Marie Dubler

2.2 - Ablösungsversuche in der Helvetik

Sowohl die Helvetik wie später der Liberalismus gingen von der naturrechtl. Ansicht aus, dass alles Eigentum von herkömml. Lasten zu befreien sei, die man als "feudal", d.h. als widerrechtl. Anmassung tyrann. Herren betrachtete. Am 4.5.1798 erliess die helvet. Regierung den vorläufigen Beschluss, "die an Personen haftenden F." aufzuheben, da Unklarheit herrschte, was denn zu den F. gehörte und woher sie kämen. Unbekümmert um Sinn und Herkunft der F. erhoffte sich die Bevölkerung - ähnlich wie in der Reformation - die Abschaffung insbesondere der Zehnten, der Grundzinsen und Zölle .

Das Gesetz über die Abschaffung der F. vom 10.11.1798 sah dann aber die entschädigungslose Abschaffung nur bei relativ geringwertigen F. vor, bei Klein- und Novalzehnten (Art. 1-2), Ehrschätzen, Fällen und Getreidegebühren (Art. 22bis). Die bedeutenden Werte - v.a. der Grosszehnt - mussten losgekauft werden; Zölle standen nicht zur Diskussion.

Der obligator. Loskauf wurde in einem komplizierten Prozedere geregelt. Zehntpflichtige sollten 2% des Grundstückspreises an den Staat zahlen, der dann die Zehntbezüger entschädigen musste: für die Zehnten mit dem 15-fachen Durchschnittsertrag der Jahre 1775-88, für die Grundzinsen in Natura mit dem 15-fachen bzw. in Geld mit dem 20-fachen Betrag. Schon 1801 hob die Helvet. Republik, bei freiwilligem Loskauf, die Ablösungssumme auf den 20-fachen mittleren Zehntertrag an. Unter Finanznot leidend, da weder Loskaufgelder noch Steuern eingingen, bezog sie schliesslich wieder die F. und provozierte damit im Kt. Léman 1802 den Aufstand der Bourla-Papey.

Autorin/Autor: Anne-Marie Dubler

2.3 - Ablösung als Aufgabe der Kantone

Die Helvetik war bei der Beseitigung der F. zwar gescheitert, aber die Ablösbarkeit blieb grundsätzlich erhalten, nur waren nach 1803 die Kantone zuständig. In allen Kantonen dominierte die Ablösung des Zehnten bei gleichzeitiger Einführung von Steuern als Ersatz für die Naturalsteuern, denn in ref. Kantonen mit mehrheitlich staatl. Zehnten wie in katholischen mit überwiegend kirchl.-geistl. Zehntbesitz (z.B. Kt. Luzern 90%) waren Kirche, Armen- und Schulwesen von diesen Einnahmen abhängig.

Das Tempo der Ablösung war unterschiedlich: Die West- und Südschweiz mit obligatorischer und sehr günstiger Ablösung (z.B. in der Waadt mit dem 5-fachen Zehntertrag) gingen der Deutschschweiz voran. Im ehem. Fürstbistum Basel hatte Frankreich alle F. ohne Entgelt abgeschafft, so dass Bern nach 1815 keine mehr antrat. In den meisten Kantonen war die Ablösung jedoch freiwillig und zog sich daher über Jahrzehnte hin. In der Getreideregion, wo Zehnten die Einführung agrartechn. Neuerungen behinderten, lösten gross- und mittelbäuerl. Kreise diese bei guter Agrarkonjunktur in Geld oder hypothekarisch gesicherten Schuldbriefen bis 1815 mehrheitlich ab, die Grundzinsen dagegen blieben bestehen. Danach verlangsamten Missernten und Teuerungen den Ablösungsprozess. Um diesen zu beschleunigen, erklärten liberale Regierungen im Thurgau, in Solothurn, Freiburg, Bern und Neuenburg die Ablösung für obligatorisch und setzten günstigere Loskaufbedingungen fest. Die Berner Radikalen gingen 1846 sogar auf den halben Ablösungspreis herunter.

Nach 1850 waren die Zehnten weitgehend abgelöst (z.B. im Thurgau um 1862 zu 97%), weshalb sie kaum mehr ein Hemmnis für den marktorientierten, individuellen Landbau darstellten. Die Kantone schritten zur Liquidation der restl. F., v.a. der Grundzinsen: Luzern, Zürich und Thurgau geboten 1861-65 deren definitive Umwandlung in Geld bei tieferen Ansätzen. Reste von F. verschwanden erst bei der Einführung des eidg. Grundbuchs, welches aufgrund des Schweiz. Zivilgesetzbuchs (ZGB) von 1912 entstand. Das ZGB beschränkte Grundlasten darauf, dass sie sich aus der wirtschaftl. Natur eines belasteten Grundstücks ergeben oder für die wirtschaftl. Bedürfnisse eines berechtigten Grundstücks bestimmt sein sollen (Art. 782-792 ZGB).

Autorin/Autor: Anne-Marie Dubler

Quellen und Literatur

Literatur
– R.J. Böppli, Die Zehntablösung in der Schweiz, speziell im Kt. Zürich, 1914
– G. Franz, «Der Kampf um das "alte Recht" in der Schweiz im ausgehenden MA», in VSWG 26, 1933, 105-145
– H. Rennefahrt, Grundzüge der bern. Rechtsgesch. 4, 1936, 144-172
– H. Nabholz «Der Kampf der Schweizerbauern um Autonomie und Befreiung von den Grundlasten», in Wirtschaft und Kultur, 1938, 484-502 (Neudr. 1966)
– G.P. Chamorel, La liquidation des droits féodaux dans le Canton de Vaud 1798-1821, 1944
HbSG 1, 461-466; 2, 817-820
– M. Lemmenmeier, Luzerns Landwirtschaft im Umbruch, 1983, 159-199
– F. Walter, Les campagnes fribourgeoises à l'âge des révolutions (1798-1856), 1983, 113-158
– S. Manetti, «Riforme agrarie e fondiarie nel Ticino dell'Ottocento», in Le Alpi per l'Europa, hg. von E. Martinengo, 1988, 359-384
– J. Stark, Zehnten statt Steuern, 1993