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09/11/2006

Herrschaftsrechte

Der Begriff H. ist eine moderne Wortschöpfung der Geschichtswissenschaft, kein Quellenterminus. Er bezeichnet die Summe der Rechte, die im MA und in der frühen Neuzeit auf Herrschaft gründeten. In den Rechtsquellen aus diesen Epochen traten diese Rechte meist einzeln auf.

H. umfassten sowohl die Schutzrechte und -pflichten einer Herrschaft gegenüber den ihr Unterstellten als auch das Recht der Herrschaft auf Abgaben (Feudallasten) und Steuern in Naturalien oder Geld sowie auf Dienste zur Abgeltung des herrschaftl. Aufwands. Die Herkunft einzelner H. ist umstritten, zumal diese auch mehrere Wurzeln haben können. In ihrer Menge spiegelt sich die Vielfalt der Herrschaftsformen, wie Personen-, Leib-, Grund-, Gerichts-, Landes-, Stadt- und Kirchenherrschaft, aber auch die grosse Zahl der Herrschaftsträger, die vom Hausvater bis zum König reichte. Die H. stellten schon im MA Vermögenswerte dar, die fast ungehindert geteilt, vererbt, getauscht, verpfändet, geschenkt oder veräussert werden konnten. Dies verlieh ihnen den Charakter von privatem Eigentum. Sie waren keiner Verjährung unterworfen, und viele bestanden bis zur Ablösung der Feudallasten im 19. Jh.

1 - Formen von Herrschaftsrechten

1.1 - Personenherrschaft

Frühe H. beruhten auf der Munt, der Schutz- und Befehlsgewalt des Hausherrn über Fam., Gesinde und Gäste (Hausrecht). Aus ihr leiteten der König, der Adel und die hohe Geistlichkeit ihre Herrschaft über die ihnen freiwillig oder zwangsweise unterstellten Schutzbefohlenen ab. Elemente der Munt erhielten sich in der Vormundschaft als Beistandschaft über Witwen und Waisen. Ebenfalls aus der Personenherrschaft erwuchsen unterschiedl. Formen der Vogtei. Vögte vertraten die ledige oder verwitwete Frau vor Gericht, bei Abwesenheit des Ehemanns auch die verheiratete. Herrschaftl. Vögte übten die Schutz- und Gerichtsherrschaft über ihre in Personenverbänden organisierten Vogteileute aus. Kastvögten (Kastvogtei) war der Schutz geistl. Institutionen anvertraut, über deren Familia sie die Gerichtsbarkeit innehatten. Der Reichsvogt vertrat die Herrschaft in Teilgebieten des Reichs.

Trotz unterschiedl. Umfangs und Inhalts waren Vogteien Ämter, deren Gerichtsbefugnisse den Auftrag beinhalteten, Unschuldige unter den Vogteileuten zu schützen, Schuldige auszuliefern oder zu bestrafen. Sie gaben dem adeligen Vogt die Zwangsgewalt, die Vogteileute zum Gericht aufzubieten und sie zu Abgaben (Vogteizins) anzuhalten (Landvogt).

Autorin/Autor: Anne-Marie Dubler

1.2 - Grund- und Gerichtsherrschaft

Viele H. sind mit der Grundherrschaft verknüpft, so die bäuerl. Leihe mit dem Recht auf den Ehrschatz, einer am Boden haftenden Handänderungssteuer, insbesondere aber Twing und Bann als herrschaftl. Gebots- und Zwangsgewalt im Dorf- und Gerichtsbezirk. Mit der Grundherrschaft war ursprünglich die Niedergerichtsbarkeit, also die Befugnis zur Rechtssprechung bei kleineren Delikten, die mit Bussen geahndet wurden, sowie das Zivilgericht bei Klagen um Güter und Geldschuld verbunden. Infolge der allg. Teilbarkeit von Gericht und Herrschaft kam das Gerichtswesen vielfach in andere Hände und entwickelte sich zur lokalen niederen Gerichts- oder Twingherrschaft.

Auch andere H., die an der Grund- und Gerichtsherrschaft hingen, konnten bei einer Herrschaftsteilung versch. Inhabern zufallen. Sie sind ab dem 14. Jh. in Hofrechten, Offnungen und Twingrechten überliefert. Hierzu zählten Rechte auf die Wassernutzung (Bewässerung, Antrieb von Wasserwerken), auf die Konzessionierung und Besteuerung grundherrl. Ehaften (Tavernen, Mühlen, Trotten usw.), auf Gebühren für die Nutzung von Wald (Acherum, Holzzins) und Allmend (Einschlagszins), auf die Pfandauslösung für entlaufenes Vieh und entflogene Bienenvölker sowie auf Frondienste. Der Gerichtsherr hatte das Recht auf Gerichtseinkünfte. Vom 15. Jh. an zogen Landesherren solche H. gegen den Widerstand der privaten Herrschaftsinhaber an sich. Im Ancien Régime verdrängte der Obrigkeitsstaat schliesslich Grund- und Gerichtsherren aus immer mehr H.n und sicherte sich so nach und nach die Oberaufsicht über Allmenden, Forste, Reisgründe (Flussläufe und -ufer) und auf die Konzessionierung der Ehaften.

Autorin/Autor: Anne-Marie Dubler

1.3 - Leibherrschaft

Weitere spätma. H. sind als Überbleibsel der früheren Leibeigenschaft zu deuten: Beim Tod eines Eigenmannes hatte der Herr ursprünglich ein Erbrecht an dessen Fahrhabe, das sich später auf einen Anteil, den Fall, reduzierte, der ohne Rücksicht auf die persönl. Freiheit oder Unfreiheit des Bauern als Reallast auf dem Leihegut lag. In derselben Zeitspanne ersetzten blosse Steuern weitere leibherrschaftl. H.: Der ehemalige Schollenzwang des Hörigen samt Nachjagerecht des Herrn wurde zur Vermögenssteuer beim Wegzug (Abzugsrecht) und das  Verbot für Frauen, ausserhalb der Ehegenossame zu heiraten, konnte durch die Zahlung einer Ehesteuer ausser Kraft gesetzt werden. Auf Druck der Landesherren, die nur Freie zum Dienst für den Staat (Tellen, Steuern, Militärdienst) aufbieten konnten, kam im 15. Jh. die Ablösung der Leibeigenschaft in Gang: An der Person haftende H., einschliesslich der Kopfsteuern, wurden in jährl. Zinse vom Leihegut umgewandelt oder durch eine einmalige Geldzahlung abgelöst.

Autorin/Autor: Anne-Marie Dubler

1.4 - Stadtherrschaft

Aus dem Hofrecht des Stadtherrn und seiner Herrschaft über den Stadtboden leitete sich das Hofstättenrecht ab: Die Hofstätten wurden zu freiem Eigen an Stadtsiedler abgegeben, die im Gegenzug Zins, Steuern, Wacht-, Kriegs- und Frondienste zum Unterhalt der vom Stadtherrn autorisierten Stadtbefestigung zu leisten hatten. Ausserhalb der Stadt wohnende Ausbürger hielten ihr Bürgerrecht mit der Zahlung eines Udels aufrecht. Im Zuge der spätma. Kommunalisierung übernahmen die Städte vom Stadtherrn sukzessive die städt. H., neben der Gerichts-, Steuer- und Militärhoheit auch die Rechte auf Märkte, Zölle, Masse und Gewichte, das Geleit und die eigene Münze. Städt. H. sind in den Stadtrechten vom 12./13. Jh. an überliefert.

Autorin/Autor: Anne-Marie Dubler

1.5 - Kirchenherrschaft

Zur Kirchenherrschaft gehörte das aus dem grundherrl. Eigenkirchenrecht gewachsene und später von geistl. oder weltl. Kirchherren als Eigentümer oder Lehensinhaber ausgeübte Patronatsrecht zum Schutz und Unterhalt einer Pfarrkirche bzw. eines Kirchenamtes. Es war mit dem Recht der Anstellung oder Absetzung eines Geistlichen und dessen Einsetzung in die Pfründe verbunden. Das Kirchenpatronat umfasste das Recht auf den Zehnt und auf den Neubruch- oder Novalzehnt, das einer generellen Besteuerung der landwirtschaftl. Produktion eines Kirchenbezirks gleichkam. Der Primiz, das Recht auf erste Feldfrüchte und Jungtiere, stand dem Geistlichen (Kirchherr oder Vikar) zu.

Autorin/Autor: Anne-Marie Dubler

1.6 - Von der Adels- zur Landesherrschaft

Spätma. Adelsherrschaften stellten die höhere Ebene von Herrschaft dar; sie beruhten wie die Twingherrschaften auf dem Besitz von Lehen oder auf Eigentum an Grund- und Gerichtsherrschaften. Die vom Adel ausgeübte Hochgerichtsbarkeit gehörte als provinziale Reichsbefugnis zum Rechtskreis der Landgrafschaften. Das Landgrafenamt bestand in der Richtergewalt über Offizialdelikte als Teil des Landfriedensschutzes und schloss vom 14. Jh. an auch das Blutgericht in eigenen Landgerichten ein. Mit dem Landgrafenamt verbanden sich neben dem Recht zum Aufgebot an die Landtage als besonders ertragreiche H. die Regalien, u.a. Rechte auf die Konfiskation der Habe geächteter oder hingerichteter Straftäter, auf den Erbfall bei Illegitimen und Fremden, auf herrenloses Gut, auf Forst, Jagd und Fischerei, Zoll und Geleit, auf Salzgewinnung und Bergbau. Die in Offnungen verzeichneten H. beinhalteten keine "staatliche" Befehlsgewalt des Landgrafen, weder Militär- noch Steuerhoheit noch das Recht auf Fuhrdienste.

Vom 15. Jh. an gingen Adelsherrschaften und Landgrafschaften durch Pfandschaft, Kauf oder Eroberung zumeist an Städte über, die ihre Landes- und Territorialherrschaft in der Folge meist auf kleinräumiger Struktur und dem Rechtsanspruch der Landgerichte aufzubauen begannen. Heerbann, Fuhrdienste und Steuern wurden von den Landesherren trotz fehlender verbriefter Rechte sukzessive eingeführt, was zu Widerstand führte, wie z.B. im Berner Twingherrenstreit.

Autorin/Autor: Anne-Marie Dubler

1.7 - Der Eid

Zu allen Formen von Herrschaft gehörte das Recht des Herrn auf die period. Eidleistung der Untergebenen zur Anerkennung der H. und der aus ihnen resultierenden Pflichten. Der Eid und damit der Gewissenszwang waren beim weitgehenden Fehlen polizeil. Hilfsmittel die unabdingbare Stütze jegl. Machtausübung. Im 16. und 17. Jh. übernahm die Landesherrschaft das alte Instrument und führte den Untertaneneid ein (Huldigung).

Autorin/Autor: Anne-Marie Dubler

2 - Umwandlung in Staatsmonopole

Schon die Landesherrschaften hatten als Vorläufer des modernen Staates vom Ende des SpätMA an auf die Abschaffung der mittleren halbstaatl. Form von Herrschaft und der mit ihr verbundenen H. zugunsten des Staates und seiner Monopole wie Landesverteidigung, Landesverwaltung, Gerichte, Zölle und Steuern hingearbeitet. Durch die Invasion der franz. Truppen in die Schweiz 1798 wurde der Umbruch der bestehenden Ordnung beschleunigt. Während der Helvetik wurden die ersten Gesetze zur Abschaffung der "Feudal-Rechte" erlassen (4.5. und 10.11.1798). Ab 1803 hoben die Kantone - zunächst die west- und südschweiz., dann auch die deutschschweiz. - die H. samt der als Feudallasten betitelten Steuern und Dienste auf. Eine Entschädigung der Inhaber von H.n unterblieb zumeist. Unter den H.n hielt sich der Zehnt am längsten, nämlich bis mit generellen Steuern ein Ersatz für die Naturalsteuer gefunden war.

Autorin/Autor: Anne-Marie Dubler

Quellen und Literatur

Quellen
SSRQ
Literatur
Dt. Rechtswb. 5, 871